Dienstag, Februar 08, 2011

Radiotie

Mein neues altes Auto hat und ist vieles bzw. viel. Es ist rot, es ist groß, es ist untermotorisiert und die negation neuzeitlicher, auf Geschwindigekeit und Wandel setzender Lebensphilosophie. Es hat einen ungeheuren Spritdurst. Es hat die Abwesenheit sämtlicher allseits geliebter kleiner elektronischer Helferlein, die selbst aus dem gehirnamputiertesten Bauersuchtfrauschauer einen Feierabendschumi bzw. -vettel macht und die hinteren Radläüfe rosten.

Es hat die Fähigkeit, unerklärliche Geräusche zu machen.

Es hat Stil.

Es hat Understatement.

Und eine Antenne.

Und ein Autoradio. Mit Kassettendeck.

Ich weiß, ich bin irgendwie... so... naaaaaaaaaaaa... ... so 1985!

Genau.

Egal.

Wie auch immer: Ich habe seit geraumer Zeit wieder Radioempfang bei meinen ausgedehnten pädagogischen Lehrfahrten auf wahlweise der Mittelspur oder der rechten Spur, je nachdem, wo gerade ein übermotorisierter Carboplastbomberfahrer um Lektionen in Entschleunigung bittet. Was, und das nur am Rande, witzig ist: im Rückspiegel zeichnet sich der durch luxusklassenexklusives Tagfahrlicht gekennzeichnete Mensch mit Prioritätsproblemen ab, lässig sich mit 250 (systolisch) durch den Berufsverkehr kämpfend und denkend, die Überholspur sei sein natürliches Habitat. Doch Jörg und Wladimir sind ausgezogen, diese Fehleinschätzung zu korrigieren und -zack- plötzlich wechseln knapp 1.7 Tonnen Gesamtgewicht, bestehend aus 1.6 Tonnen Stahl, Hartplastik und Lammfellsitzbezug plus 0,08 Tonnen Misanthrop die Spur. Und schon weiß der Hintermann, wofür er den Kredit aufgenommen hat. ESPs regeln, ASBs bremsen und all die anderen Gimmicks kontemporärer Automobilbauerkunst tanzen den Aufprallverhinderungslambada.

Die anderen sind schneller.

Aber mein Auto ist aus Blech.

Positiver Nebeneffekt: Jeder denkt, hier wär mal wieder so ein verkalkter Ex-Sturmbannführer auf Feindfahrt gen Norwegen unterwegs. Und so schaffe ich es quasi nonchalant in einem Aufwasch, den Rentnern noch ein mieses Image zu verschaffen.

Graue Panther, von wegen!

Zurück zum Thema.

Das Auto ist groß und langsam. Untermotorisiert erwähnte ich schon. Und Antenne. Das ist wichtig, daraus entwickelt sich was.

Da ich nun dann doch die eine oder andere Stunde unterwegs bin, sei's auf dem Weg zur Arbeit oder einfach so aus schierer Bosheit, um anderen Menschen den Tag zu versauen, ich habe viel Zeit zum hören. Und damit fangen die Probleme an: Welchen verf..kten Sender kann, soll, darf man mit Mitte 30 hören?

Die Auswahl ist einer trotz fast unüberschaubaren Anzahl mit ansteigenden Dämlichkeitsgraden benannter Sender, riesig. Da gibt es die notorischen RadioEnergy, RadioBob, DasBesteDer80er,90er,00erbisHeute Sender, die eben genau die Klientel bedienen, die man in der Straßenbahn normalerweise durch entweder ihre lustigen Einheimischensprache (Aldä näxd Woch isch fahr krass auf Maßnahme nach Finnland, da is so Jugendcamp damidsch meine Bewährung behalde kann, Finnland find isch krass, schwar noch nie am Mittelmeer)oder einem Gesichtsaudruck, der an ein Spongebobstandbild erinnert, identifiziert. Kann man nicht hören, is klar. Ich bin für wenige Dinge zu alt, aber für den Scheiß war ich nie jung genug.

Was noch?

Richtig: Die "1er"-Sender. HR1, SWR1, Bayern1, Radio Norddeich1 usw. Die wären fast OK. Das Verhältnis zwischen Sprachberichterstattung mit Sätzen, die das Subjekt-Prädikat-Objekt-Schema (Menschen genannt die Römer gehen das Haus)einhalten. Und dazu gibt es Musik, die aus mehr zu bestehen scheint als ein Endlosband vom BestOf von Kate Perry und WieAuchImmerDasAktuelleRappendeVollbrotHeißenMag. Stattdessen kommt ein BestOf von Barclay James Harvest und SongsVonCreedanceClearWaterRevivalDieSieSchonInDen70ernIgnoriertHaben. Fällt also aus.

Und nun?

Die "3er". HR3, Bayern3, SWR3, Radio Norddeich3 (der Gag wird durch Wiederholung besser, is wie beim Wein: Ab und zu drehn und -boing- hast Du einen Jahrgangssekt... oder so). Die "3er" haben ein ganz eigenes Problem. Die haben die "MorningShows". Ich weiß nicht, wie die Sender ihr Recruiting (heißt so, früher hieß das "Einstellen") machen. Suchen die in Zoos und Drogenkliniken nach den ganz harten Fällen, spritzen denen morgens um 5.30 nen Mix aus Grapefruitsaft und DieterBohlenDNA? Wie kann man morgens um 5.30 schon so unmotiviert notorisch gut drauf sein? Ein cooler, hipper, spontan-brutal lustiger Spruch jagt den nächsten und wenn die Nachrichten kommen wird sogar beim Bericht über 50 Tote bei einem Zugunglück in der Uckermark im Hintergrund "Es fährt ein Zug nach nirgendwo" von Roy Black eingespielt. Und diese grinsdebil-humorfaschistische Grundtendenz zieht sich über den ganzen Tag.

Geht also auch nicht.

Bleibt also?

Die "2er": HR2, SWR2, Radio Nor... ne, Deutschlandfunk. Gelegentlich kann einem da das Herz aufgehen. Die haben so lustige Sendungen wie z.B. "HR2 Kultur". Das klingt in den Ohren der meisten meiner Mitmenschen schon staubig. Das klingt nach Museum, Klassenfahrt und nach mehreren Stunden Busfahrt, wenn man noch zu jung ist, um wenigstens heimliche 2 Dosen Hansapils reinzuschmuggeln. Ich hingegen find das gut. Ich weiß, ich bin ein intellektueller und hätt ich was g'scheites studiert, könnt ich's auch beweisen. So allerdings muss ich es bei der reinen Behauptung belassen. Dennoch: diese Sender wären ei-gent-lich OK. Eigentlich. Doch keine Rosen ohne Dornen. Und die Dornen kommen in Form der zwischen den -wie bereits erwähnten interessanten- Berichten gesendeten Musik. Morgens kredenzt die Musikredaktion gerne das Frühwerk eines noch unter den Auswirkungen einer heftigen Pubertät leidenden Heinrich Schütz, erstmals interprätiert vom Royal Dudelsack Pipers Batallion of Northumbria featuring Basil The Dead Weasle oder aber auch Gregorianische Eintongesänge des späten 9. Jahrhunderts, gesungen im Duett von Charles Aznavour und Babette Migräne nach der erst unlängst gefundenen Inuit-Originalpartitur, die auf einer revolutionär alten Art 14.5-Tonmusik basiert, die bei Live-Aufführungen dazu führt, dass Zuhörer in der werberelevanten Zielgruppe der 14 bis 49-Jährigen spontane Blutstürze erleiden und/oder sie in eine irreversible Depressivität treibt.

Mithin also auch keine wirkliche Alternative.

Was also kann ich tun?

Ich war neulich bei meiner Mutter und habe meine alten Kassetten entdeckt. Die älteren werden sich erinnern. Kassetten. Dieses fisseliche Bandgefummel im Plastikmantel, das immer entweder kaputt war, scheiße klang oder einfach auch beides gleichzeitig.

Ich habe Kassetten von 1987 gefunden. "Hit-Line". Selbst aufgenommen. Damals. Abends, Sonntagsabends lief das. Um 19 Uhr glaub ich. Moderiert von Elmar Hörig. Man saß vorm Radiorekorder, die Hände schwebend über der Pause-Taste, die die eingerasteten Play-Record-Tasten entriegelt und dann den Song aufgenommen hat. Dann schwebten die Hände wieder ca. 3.5 Minuten über den Tasten, um zielsicher kurz nachdem der Moderatorenfaschist ins Outro des Songs gebabbelt hat auf die Pause-Taste zu hauen, um die Aufnahme zu beenden.

Wie auch immer.

Vielleicht hör ich einfach die.

Jö... das mach ich.

GEZ bezahl ich trotzdem. Tut mir schon ein wenig weh...