Montag, November 01, 2010

Und so beginnt es....

... mein Leben als Bahnpendler.

Ich fahre mit meinem Auto auf den Park&Glide Parkplatz der Deutschen Bahn AG. Leise, fast romantisch knirscht der feine Kies aus Carrara-Marmor unter den Pneus. Ich erreiche den vorgewärmten, überdachten Stellplatz. Ein livrierter Konteradmiral a.D. öffnet den Schlag und begrüßt mich mit respektvollen Worten. Sein Anerbieten die Reifen zu schwärzen und die Antenne geradezubiegen lehne ich dankend, die schwere seines Amtes aber anerkennend ab. Ich stecke ihm 50 Cent zu und erlaube ihm, sich Wärmendes davon zu kaufen.

Durch einen leicht im Wind säuselnden, im Bunt des Herbstes leuchtenden Birkenhain erreiche ich den von vielen fleißigen Händen auf hochglanz polierten Bahnsteig. Freundliche Mitreisende warten bereits ins philosophische Gespräche vertieft auf ihren Zug. Und während hier noch der kategorische Imperativ diskutiert wird und dort das allzu frühe Ableben Mozarts bedauert wird, erreicht seidenweich dampfend und genüsslich vibrierend der IC "Uwe Barschel" seinen optimalen Haltepunkt. Trotz technischer Unnötigkeit, allein um das nostalgische Auge und Ohr zu verzücken, dampft und schnaubt die Lok. Die Türen der Wagons öffnen sich wie von Geisterhand, das Geräusch der Enterprise-Türen imitierend. Zum Aussteigen bereite Reisenden im Innern des Zuges wird galant der Vortritt gelassen, Höflichkeit, Zucht und Ordnung machen das Einsteigen zum Paradebeispiel längst verloren geglaubter deutscher Tugenden.

Das Abteil, liebevoll gestaltet und aufs Wohligste duftend nach eitel Zedernholz und edelstem Tabak, ist wohl temperiert und gemahnt an längst vergangene unbesorgte Tage im mütterlichen Schoße, welchen zu verlassen uns ein grimmes Schicksal zwang. Doch vergessen ist jede Mühsal und Pein nachdem ich mich in die mit Alcannelloni-Leder ausgeschlagenen Fauteuils habe sinken lassen. Fast unzverzüglich übergebe ich mich in Morpheus Arme, wohl wissend, dass die nächsten 60 Minuten in gesegneter Ruhe vergehen werden, ungestört vom Mitteilungsdrang niederer Managerformen, unangetastet vom Lärmen pubertierender Leistungsverweigerer, nur einmal vielleicht aufs freundlichste unterbrochen von der fast devoten Frage nach der Korrektheit des Erwerbs des all diese Annehmlichkeiten ermöglichenden Billets seitens eines hochgebildeten und der Einsamkeit seiner Emeritierung entfleuchenden Professors der Schönen Künste. Danach nur noch Friede, unterstrichen vom monotonen, ätherischer Rhythmik gehorchender Einlulligkeit des Kattak-Katlöng... Kattak-Katlöng, diesem magischen Versmaß schienengebundener Fortbewegung.

Nach exakter Verbringung der vorgegbenen Reisezeit erweckt mich die freundliche, klarstvernehmliche Stimme einer vor Urzeiten digitalisierten Nymphenstimme aus meinem Schlummer, mich säuselnd darauf hinweisend, dass ich nun und hier das Ziel meiner Reise erreicht habe. Mein Gegenüber, ein kultivierter Zeitgenosse von erhabener Zurückhaltung und aristokratischem Wesen, reicht mir die Hand zur Hilfe, mir das Aufstehen zu erleichtern. Ein leichtes Kopfnicken, ein wohlmeinender Gruß entlässt mich in die Kühle und Beschaulichkeit des Frankfurter Kopfbahnhofes. Weltstädtisches Getriebe vermag die perfekte Ausgeglichenheit des Morgens nicht zu stören.

Am Nachbargleise wartet elektrisch schnurrend der kleine Bruder des stolzen IC, die schnöde abgekürzte S-Bahn. "S" bedeutet hier dem Reisenden "schweben" und dergestalt reibungslos werden die letzten Minuten des allmorgendlichen Pendelns zum sprichwörtlichen Flug auf dem Zauberbodentextil. Fast zu kurz mag es erscheinen, fast wehmütig muss ich erkennen: Ich bin angekommen am Ziel meiner Reise. Doch gemildert wird der jähe Trennungsschmerz vom sicheren Wissen: Heute abend, in nicht allzu ferner Zeit werde ich wieder die Annehmlichkeiten dieses perfekten organisatorischen Wunderwerks, welches die Deutsche Bahn mittlerweile, den schlechten Ruf ihrer Neider verspottend, geworden ist, genießen.

Das sichere Wissen eben genau darum versüßt mir selbst den härtesten Arbeitstag.

...

Mein Handy weckt mich... ich muss gleich los... zum Weinheimer Bahnhof. Mir ist übel...