Mittwoch, Januar 31, 2007

Super, RTL!

Langeweile ist grausam und verleitet Menschen dazu Dinge zu tun, die sie unter normalen Umständen oder im Rahmen eines ausgefüllten Lebens nicht tun würden. Was dies genau ist, hängt vom Individuum ab, gelegentlich aber können auch sonst eher intellektuell-schöngeistig orientierte Menschen ihr Heil in der Flucht ins Unterschichtenfernsehen suchen. Gerade auch dann, wenn sich sonst inhaltsfreie Resteverwertungs-Sender wie – um nur einen zu nennen – Super-RTL mit geschickter Sendeplatzbeschickung an die noch nicht völlig vergreisten, in ihrer mentalen Agilität aber leicht beeinträchtigten Thirty-Somethings wendet und sie mit leicht verdaulicher Nostalgieware aus dem frühen Pleistozän der Unterhaltungsindustrie vor die Geräte zuhause ködert.

Kurz und gut, worum es geht ist Folgendes:

Ausgestrahlt am Montag zur zweitbesten Sendezeit, irgendwann zwischen Couch und Bett.

Damit man sich ein Bild vom ganzen Ausmaß der Verheerung machen kann, sei dieser Text – als Einstimmung - angeführt, frisch gemopst von der Super-RTL eigenen Weltennetzpräsenz:

„Erinnern Sie sich? Sie brach Anfang der 80er über uns herein und bescherte den Charts Nenas "99 Luftballons", Markus’ "Ich will Spaß" und Fräulein Menkes „Tretboot in Seenot". Lauter Hits mit – zugegeben – geringem Tiefgang, dafür aber großem Spaß-Potenzial. Denn mal ehrlich, wer kommt bei "Da, da, da" und das "Bruttosozialprodukt" der Spider Murphy Gang nicht in Partystimmung?!“


Eigentlich müsste man dazu nichts mehr sagen, aber gerade für die Jüngeren unter uns ist es vielleicht ein hilfreicher Hinweis, dass „Bruttosozialprodukt“ eben nicht von der Spider Murphy Gang war, sondern von einer etwas unbekannteren, dafür aber schlechteren Band namens „Geier Sturzflug“. Auf jeden Fall ist dies ein weiterer Beweis für die Abwesenheit eines –wie man bei uns in der freien Wirtschaft sagt- „Total Quality Approachs“ in der Redaktion dieses als Sender getarnten Outlets eines russischen Hochsicherheitsgefängnisses für Triebtäter unter Konkursverwaltung.

Also eine Musiksendung im weitesten Sinne. Gut. Und wie es so sein muss im Deutschland der Dichter und Denker, darf natürlich die dargebotene Musik nicht unkommentiert, quasi „einfach so“, auf die unterbelichtete Masse losgelassen werden. Die Kommentierung ist aus verschiedenen Gründen notwendig. Zum einen ist der durchschnittliche Zuschauer von heute in Geschmacksfragen ähnlich empfindungsfähig wie ein serbischer Kriegsverbrecher, und muss schon deshalb auf die vermeintlichen Geschmacksverirrungen der frühen 80er explizit hingewiesen werden. Zum anderen erkennt der Deutsche als solcher einen Witz erst dann, wenn er wahlweise im Vorfeld anmoderiert wurde, im Nachhinein durch einen Tusch, oder aber der Lacheinsatz durch die Verwendung von Lachkonserven aus dem Off hinreichend kenntlich gemacht wurde. Dies ist, und das sei nur am Rande bemerkt, insoweit bedenklich, als dass Lachen, bzw. das Verständnis für Humor, in Biologenkreisen regelmäßig als Zeichen höherer Intelligenz gewertet wird.

Aber all dies könnte man noch bei Zugrundelegung einer positiven, gutmeinenden Grundhaltung durchgehen lassen. Immerhin handelt es sich um leichte Unterhaltung ohne größeren Anspruch und, mein Gott, wer denken will soll entweder ein Buch lesen oder ARTE gucken.

Kriminell und somit strafwürdig, wird das alles aber durch den Einsatz der Kommentatoren und des Moderators.

Der Moderator – Dirk Penkwitz
Dieser zu Recht völlig unbekannte Ansagegustl der F-Kategorie fristet sein erbärmliches Dasein ausschließlich in den betreuten sendereigenen Werkstätten von Super-RTL, und wird nur für „Völlig total“ (eine ebenso zu Recht unbekanntes Sekret privatrechtlicher Sendefrequenzverschmutzung) und eben auch für solche Sendungen wie oben genannter, aus seinem künstlichen Wachkoma geholt. In den wenigen „lichten“ Augenblicken der Sendungsaufzeichnung scheint sich der gute Mann über seinen eigenen Nachnamen derart scheckig zu lachen, dass seine Moderation von einem permanenten Glucksen und mühsam unterdrücktem, wahrscheinlich auf die doch recht heftig Medikation zurückzuführenden, Lachen überlagert ist. Ähnlich den Wachen in Pontius Pilatus’ Palast in „Das Leben des Brian“, die bei der Erwähnung von Schwanzus Longus nicht in schallendes Gelächter ausbrechen dürfen, ist sein Sprechapparat hauptsächlich damit beschäftigt, spontanes Losprusten zu vermeiden. Und dazwischen muss er nun versuchen, Informatives über den nächsten Clip loszuwerden. Selbstredend ist das zum Scheitern verurteilt und man wünscht ihm schon nach dem ersten Satz einen wenn schon nicht schmerzlosen, so doch aber langwierigen Tod!

Die Kommentatoren laut Website hätten sein sollen: Bernhard Brink, Isabell Varell, Jeanette Biedermann, Ruth Moschner, Gülcan, Nova Meierhenrich.

Dies ist allerdings nicht ganz richtig. So scheint sich Ruth Moschner entweder in einen Mann umoperiert haben zu lassen, oder aber sie hat – was man ihr so nicht zugetraut hätte – sich schon im Vorfeld von diesem telemedialen Terrorakt losgesagt und wirft stattdessen weiter vergiftete Dartpfeile auf das Bild des RTL-Verantwortlichen, der sie damals aus den Freitag-Nacht-News rausgekegelt hat.

Zu Bernhard Brink fällt mir nur ein, dass er wohl die Rolle des Autentizitäts-Onkels zu geben hatte. So wie der Kerl aussah, hat der nicht nur die 80er des vorigen Jahrhunderts miterlebt, sondern auch die des 19. Dementsprechend sibyllinisch –positiv gesprochen – oder alzheimerbedingt –realistisch gesprochen- waren seine Kommentare. Diese beschränkten sich mehr oder weniger darauf, den Namen der Band, deren Clip gerade gespielt wurde, zu wiederholen. Und zwar mehrfach. In der Art und Weise, die man von älteren, dem Tode nahen Menschen kennt. So ist die erste Erwähnung des Namens noch in zweifelndem Tonfall gehalten. „Trio???“, nach dem Motto, „Trio??? … da war doch mal was …“, gefolgt von einer weiteren Wiederholung, bei welcher erstes, aber leider völlig in die falsche Richtung gehendes Erinnern anklingt „Trio? Das war doch die Sache mit den beiden Detektiven und dem Computer-Nerd, der diese orangenen Roboter gebaut hat?“ … gefolgt von der sich auch sprachlich niederschlagenden Gedächtnis-Korrektur „Trio. Ja … das war mal ne Band in den … äh … wann war das … 80ern?“ und letztlich abgeschlossen vom finalen Erkenntnis-Blitz „Trio! Ja klar! Trio! Ne Band aus den 80ern! Die hatten damals ein Lied. Ja genau. … Aber wie hieß das noch mal? Irgendwas mit … war das was mit Bergen?“. Im Hintergrund läuft natürlich die ganze Zeit „Da, Da, Da“, was aber aufgrund des wohl schon vom eigenen Gesang in einen frühen Tinitus getriebenen Gehör nicht mehr wahrgenommen wird.

Isabell Varell hatte zu Trio abzusondern, dass der Sänger wohl irgendwie so Stefan Rammler hieß oder so. Wobei sich der Eindruck aufdrängte, dieser Versprecher beruhte darauf, dass „rammeln“ ihr noch aus frühester Jugend bekannt war, sie aber das so lange schon nicht mehr gemacht hat, dass sich seither ihr durch das langjährige Einatmen giftiger Haarspraydämpfe arg in Mitleidenschaft genommenes Gehirn mit solcherlei Assoziationseskapaden vorm erlösenden Freitod drückt.

Der Rest der Kommentatoren-Junta glänzte darüber hinaus durch ebenso schlichtes, wie undurchdacht formuliertes Labertum auf allerunterstem Niveau. Allerdings darf man nicht den Fehler machen, dies den Leuten vorzuwerfen. Als Beispiel mag Jeanette Biedermann dienen. Was hat jemand wie sie in einer Sendung zu tun, die sich –so platt und deformiert wie auch immer- mit Musik beschäftigt? Welcher gesunde Geist käme auf die Idee, dieses blonde Klischee und Opfer einer medial-invasiven Erziehung sich zum Thema „Musik“ äußern zu lassen? Möglichen Einwänden, es handele sich bei diesem bemitleidenswerten Wesen um eine Sängerin kann man nur entgegenhalten, dass das schlicht nicht stimmt. Blond ja, Sängerin, nein!

Das Highlight

Gülcan? Wer ist eigentlich Gülcan?

Gülcan vereinigt optisch die Merkmale von Ratte, Nacktmull und Paris Hilton, ist intelligent wie 5 Meter Waldweg, scheint aber über einen ausgewachsenen und reichhaltigen Erfahrungsschatz in der Welt der Medien und der Unterhaltung zu verfügen, welcher es ihr vermeintlich erlaubt „pointiert“ alles, was älter ist als 5 Minuten in Grund und Boden zu kommentieren. Die Kommentare bewegen sich dabei auf vor-Kindergarten-Niveau und beschränkten sich hauptsächlich darauf, die doch etwas teils schrägen, teils bewusst lächerlichen Aufmachungen der Sänger und Bands der damaligen Zeit zu beschreiben. Jetzt mag man meinen, dass dies ein fruchtbares Feld wäre für jemanden, der auch nur über einen rudimentären Wortschatz verfügt, aber weit gefehlt. Sie hatte nichts weiter zu vermelden, dies aber wiederholt, dass „die aber komisch aussehen“ und die Frage zu formulieren „ob die damals wirklich so ausgesehen tuten“ oder „warum die so lustig aussehen“. Das ganze natürlich nicht am Stück, dafür schien die Prozessorleistung einfach nicht zu reichen, sondern immer wieder unterbrochen von grinsdebilem Gekichere und etwas, was wie der heldenhafte Versuch interpretiert werden konnte, nicht vor die laufende Kamera zu kotzen.

Auch ihr kann man nur ein gnädiges Schicksal wünschen und einen möglichst zeitigen, ruhigen und geistig nicht so sehr anstrengenden Vorruhestand auf irgendeiner Wiese in der Nähe der schönen Stadt Tschernobyl oder einem pflegeleichten Gitterkäfig am Polarkreis.

Rio, der AusRreiser

DEN fanden komischerweise alle gut. Sogar vor Gülcans unbestechlichen Triefaugen fand Rio Reiser Gnade, wobei man mutmaßen darf, dass man ihr im Vorfeld der Show gesagt hatte, dass der gute Mann nun schon geraume Weile tot sei (für sie zurechtformuliert: „Der ist jetzt im Himmel, gell! Bei den den Engeln auf der Wolke!“). Aber auch all die anderen Mutanten wussten nur Bestes zu vermelden. Er sei eine Korniföre gewesen, ein Meilenstein der deutschen Musikgeschichte und stilprägend und auch schon mit seiner Band „IG Bau-Steine-Erden“ Vorreiter des Post-Punk-N-HipHop und sogar Claudia Roth fanden alle toll.

Was natürlich nichts anderes bedeutet, als dass man hier in diesem Land erst den Arsch zukneifen muss, bevor einem diese Brut auch nur das kleinste Quäntchen (Jaha, darf man jetzt mit „ä“!) Respekt zollt.

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