Mittwoch, August 27, 2008

Fleckvieh im Vertrieb

Als wäre Tanken in diesen Zeiten aufgrund einer bolschewistischen Preisgestaltung nicht eh schon ein Vorgang mit nur eingeschränktem Lustgewinn, nein die Jet-Tankstelle in Darmstadt setzt da noch einen drauf.

Sie steht hinter der Theke. An der Kasse. SIE. Das Dunkelbunte Fleckvieh im Direktvertrieb.

Allein "stehen" ist ein irreführender Begriff für das, was man als heroischen Versuch interpretieren könnte, nicht von den Auswirkungen eines ausgedehnten vorabendlichen Bummels mit Justin und Jaqueline durch die Pflaumen- und Apfelbaums, Kinky-Palaces und Chez Mandies der darmstädter Innenstadt unter die Tischplatte gezogen zu werden.

Dennoch, da steht sie nun und schaut mich an. Obwohl auch "schauen" diesem völlig perzeptionsneutralen Vorgang nicht gerecht wird. "Schauen" ist zielgerichtet. "Schauen" erfordert geistige Regheit, Hirn, Intellekt. Nichts davon ist diesem Wesen auch nur im Entferntesten bekannt oder immanent und ich muss mich korrigieren: Sie glotzt. Sie glotzt in meine ungefähre Richtung, als ich die Tankstelle betrete. Und das auch nicht, weil sie in mir einen Kunden, einen zahlenden Menschen, einen wenn auch nur geringen Teil eben jenes magisch-ökonomischen Balletts erkennt, an dessen Ende das herauskommt, was sie wohl als "ihr Gehalt" bezeichnen würde, wenn ihr das nötige Vokabular dafür zur Verfügung stünde. Nein, allein das Türgeräusch hat sie zur kurzfristigen Unterbrechung ihres frühmorgendlichen Wiederkäuens animiert, irgendwo zwischen Fluchtreflex und triebhafter Neugier.

Ich merke sofort: Ich als Person, als Mensch, als fühlend und zahlungswillig' Wesen bin hier völlig irrelevant. Würde ich mich auf der Stelle in ein blässlich nachglühendes Ammoniumwölkchen verwandeln, sie würde den Unterschied nicht mal bemerken. Doch noch bevor sich dieser -an sich traurige- Erkenntnisgewinn im Unterlassen einer freundlichen Begrüßung manifestiert, haben sich schon äonen-alte Erziehungsmuster Bahn gebrochen, und ein "Guten Morgen" entschlüpft mir ebenso schnell wie unkontrolliert, eine Salutatio Präkox, quasi. Unbeabsichtigt, und völlig unpassend.

Zu spät, ich habe mich als ihr unterlegen gezeigt und werde dementsprechend behandelt. Zunächst zeigt sich dieses "Behandeln" in der hunderprozentigen Abwesenheit jeglicher Be-Handlung. Meinen Weg von der Tür zur Kasse verfolgt sie mit amöbenhafter Teilnahmslosigkeit, mein Erreichen des Tisches quittiert sie nicht mal mit dem Fokusieren ihrer kuhbraunen Augen auf mich. Sie glotzt in animalisch-enthirnter Stupidität nicht nur an mir vorbei oder durch mich hindurch, sondern sie schafft es, trotz der groben Ausrichtung ihres Kopfes in meine Richtung, mich völlig und umfassend zu ignorieren. Ein kurzer Blick in die Reflektion des Fensters überzeugt mich davon, dass ich immer noch über eine gewisse materielle Dichte verfüge und sich das Licht an mir in der dem Erkennen förderlichen Art und Weise bricht, und dass ich nicht doch überraschenderweise durch eine fiese Strahlungseinwirkung unsichtbar geworden bin.

Regloses Verharren in ihrem Gesichtsfeld führt dazu, dass sie mich wahrnimmt. Widerwillig. Was sie da sieht, mag sie nicht. Offensichtlich.

Der Vorgang des Bezahlens mit EC-Karte ist ihr komplett nicht nachvollziehbar. Hat sie doch einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres jungen, aber bis dato vollumfänglich sinnlosen Lebens, damit verbracht, den Vorgang des Bezahlens mit "Geld" zu verstehen, scheint ihr die Verwendung jenes kleinen Plastikscheibchens nur aus der Art von Filmen bekannt zu sein, in welcher Männer mit guten Anzügen, aber schlechten Dialogschreibern, damit Crack-Häufchen kleinhäckseln, um die Intranasalverkostung des feinen Stoffs nicht allzusehr in ein rhinolaryngologisches Massaker ausarten zu lassen. Dass man damit auch Rechnungen begleichen kann, ist für sie aber in etwa so verständlich wie die spezielle Relativitätstheorie oder Malen-Nach-Zahlen im Zahlenraum bis "2".

Die mentale Leistung der Verbindung der auf ihre völlig überlastete Kleinhirnrinde einstürmenden Bilder "Mensch mit EC-Karte" mit dem ihr nach mehrmonatigem Leckerlietraining beigebrachten Konzept der "Rechnungsbegleichung" bringt ihren Schädel zum Vibrieren. Infraschallbrummen durchdringt den Raum.

Doch plötzlich greift sie mechanisch nach der Karte. Sie erinnert sich, sie hat irgendwann mal gelernt, dass wenn diese seltsamen Leute bei ihr vor dem Tisch stehen, diese ihr kleine Dinge in die Hand geben, die sie dann in eine kleine Schublade zu den anderen kleinen Dingen legen muss. Manchmal muss sie auch andere kleine Dinge zurückgeben, aber nicht jetzt. Das freut sie.

Doch nun komme ich daher, und überfordere sie damit, indem ich mit diesem bunten Stück Plastik bezahlen will. Das darf sie nicht zu den anderen kleinen Dingen in die Schublade legen. Sie ist verwirrt. Nur ihre Berufs-Kittelschürze hindert sie daran, sich zu putzen.

Und deshalb glotzt sie mich an. Sie glotzt, wie ich es nur einmal je in meinem Leben zuvor gesehen habe, und zwar bei einer Fahrradtour, die mich in den schweizer Bergen durch eine Herde Kühe führte. Auch die haben geglotzt. Sie glotzt diese Art von Glotzen, bei welcher der Beglotzte zwangsläufig Gefahr läuft, in der intellektfreien Tiefe hinter der Iris, in diesem vernunftleeren Raum, dieser zerebralen Ödnis, zu versinken. Diese Art von Glotzen, die ähnlich dem Erfrierungstod ist: SCHLAF NICHT EIN, REDE MIT MIR, SONST IST ALLES VERLOREN, BLEIB BEI MIR, BOB!!!

Und nach einer gefühlten Ewigkeit, in welcher kleinere Gottheiten auf Erden erscheinen, Religionen gründen und wieder in Vergessenheit geraten können, feuert eine bis dato untätige und von allen ungeliebte Synapse einen schwächlichen aber ausreichenden Impuls in die schwelenden Rudimente des Erinnerungszentrums ihres an Unterforderung dahingeschiedenen Kleinhirns. Verschiedene Schalter und Relais rasten ein, stellen Verbindungen her und am Ende steht: Erkennen.

Sie sagt: "Achso, Sie wolle mid de Kaad bezahle?!?"

Sie äußert das in einem Tonfall, der aus 5 Prozent Überraschung , 50 Prozent Vorwurf und 45 Prozent dummdreister Impertinenz besteht, der in weniger aufgeklärten, fundamentalistischeren, ursprünglicheren, aber auf dem Gebiet der Frauenhaltung fortschrittlicheren Gesellschaften zur sofortigen Steinigung geführt hätte.

"Mid de Kaad".

Genau.

Sie ist ganz von allein draufgekommen.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

gerade gefunden bei Schandmännchen. Vielleicht gibts da nen Zusammenhang?

"Kühe haben einen inneren Kompass. Was bislang von Vögeln bekannt war, wurde nun auch bei Rindern festgestellt. Forschern der Universität Duisburg-Essen zufolge orientieren sich Kühe am Magnetfeld der Erde und stellen sich am liebsten so hin, dass sie Richtung Norden gucken."