Mittwoch, Februar 11, 2009

Der Anruf

Eine sehr kurze Tragödie.

Die Akteure:
Die Stimme - elektronisch, unpersönlich, von unbestimmt weiblichem Geschlecht, kurz: elektronisch modulierter Hohn
Ich - die arme Sau, die sich denkt, ein Anruf sei effizienter als ein Besuch vor Ort
Mein Telefon - Schwarzes Bakelit, alt
Die Hotlinesklavin - Nett aber unfähig. Ein hirnloses Subjekt von beeindruckend künstlicher Freundlichkeit. Konziliant aber völlig Nutzlos.

I. Akt

Ich: (Wähle die 0180er Nummer)
Mein Telefon: (Stellt die Verbindung her. Lässt ein Freizeichen ertönen.)
Die Stimme: (Salbadert los wie Fips Asmussen auf Koks) Willkommen bei der Hotline ihrer Arbeitsagentur. Wenn Sie Fragen zum Wetter haben, drücken Sie die 1. Wenn Sie Fragen nach dem Sinn des Lebens stellen wollen, drücken Sie die 3. Wenn Sie sich arbeitssuchend melden wollen, drücken sie die 5.
Mein Telefon: (Hat eine Wählscheibe.)
Ich: (Lege auf. Schreie meine Zimmerpflanzen an und verwünsche die Welt im allgemeinen und die moderne im besonderen.)

II. Akt
Ich: (Nehme mein Handy und ignoriere die Tatsache, dass mich der Hinweis "Mobilfunkpreis abweichend" völlig verstört. Wähle und komme wieder zur Stimme.)
Die Stimme: (Salbadert los usw. usf...)
Ich: (Drücke die 5. Mein Handy hat Tasten. Ich erkläre mich zum Sieger über das System und freue mich.)
Die Stimme: (Ändert leicht den Tonfall. Wird gelegentlich von einer 2Bit-Aufnahme von "Hymne aus 'Jagd auf Roter Oktober'" unterbrochen, dargeboten vom Chor der Schwarzmeerflotte der UdSSR. Die Stimme teilt mir mit, dass sich in quasi unmittelbarer zeitlicher Nähe ein Mitarbeiter Zeit nehmen wird, um mir bei der Lösung meiner Probleme behilflich zu sein.)Vielen Dank, dass Sie sich für die Option 5 entschieden haben. Leider sind zur Zeit alle Plätze belegt. Ein Mitarbeiter wird ihren Anruf gleich entgegennehmen. (Der Schwarzmeerflottenchor nimmt das Thema wieder auf und plärrt irgendwas von "Schtrootz uschpotovkijem, daar scupropojieeew".)
Ich: (Warte. Versuche im Geiste die bisher aufgelaufenen Kosten zu schätzen. Bemerke, dass ich im Zahlenraum > 100 einfach nicht rechnen kann und lasse es bleiben.)
Die Stimme: (Wird mitten im Satz unterbrochen.)
Die Hotlinesklavin: (Scheint über die Fähigkeit der sogenannten Digeridoo-oder zirkulären Atmung zu verfügen, bei welcher man einen konstanten Atemfluss produzieren kann. Man atmet durch die Nase ein und durch den Mund aus. Es kommt somit zu keinerlei Unterbrechung des Redeflusses. Und genauso hört sie sich dann an.) WillkommenbeiderAgenturfürArbeitmeineNameistGundelGaukelei.
WaskannichfürSietun?
Ich: (Wundere mich über die selten sinnlose Frage. Ich dachte, über die Wahl der 5 hätte ich mein Anliegen hinreichend spezifiziert. Aber egal. Ich bin nett.) Hallo. Zunächst eine kurze Frage: Da ich mit dem Handy anrufe, können Sie mich bitte zurückrufen?
Die Hotlinesklavin: Neindasdürfenwirnicht.IsteineArbeitsanweisung.
Ich: Schade. Aber egal. Ich habe nur eine Frage: Ab wann muss man sich frühestens "Arbeitssuchend" melden.
Die Hotlinesklavin: DaskommtdraufanwieIhrArbeitsverhältnisbeendetwurde.
WiewurdeIhrArbeitsverhältnisdennbeendet?
Ich: Nun, wahrscheinlich mit einem Aufhebungsvertrag.
Die Hotlinesklavin: DannmüssenSiesichmeldensobaldSiedenVertragunterschriebenhaben.
HabenSiedenVertragschonunterschrieben?
Ich: Nein. Aber gut, ich melde mich, sobald das geschehen ist.
Die Hotlinesklavin: JadasmüssenSiemachensonstverlierenSieunterUmständenAnsprüchewenn
Siesichzuspätmelden.
Ich: Ich weiß, deswegen auch die Nachfrage. Eine Frage noch: Können Sie mir Ihre Durchwahl geben, damit ich nicht wieder durch diese Computerstimmen-Phalanx durch muss?
Die Hotlinesklavin: Neindiedürfenwirnichtrausgebenweilsonstjederanrufenwürd.
Ich: Aha? Wer würde sowas tun, außer Leute, die sowieso mit Ihnen reden müssen?
Die Hotlinesklavin: Neindasdürfenwirnicht.
IsteineArbeitsanweisung.
Ich: (Hole tief Luft und will eigentlich mit der Brunstulp am anderen Ende der Leitung in eine weiterführende Diskussion über Sinn und Unsinn von Arbeitsanweisungen eintreten. Vor allem darüber, ob die reine Angabe der Existenz einer solchen als Begründung hinreichend erscheinen soll. Ich erwäge kurz, Sie darauf hinzuweisen, dass es eben jener Kadavergehorsam war, der gerade uns Deutsche schonmal in echte Schwierigkeiten brachte. Ich möchte ihr erklären, dass es schon ein wenig mehr braucht, als nur einen lapidaren Verweis auf eine Anordnung, um beim Gesprächspartner etwas anderes als nur reine Opposition zu erreichen. Kurz, ich möchte an den Menschen appelieren. Stattdessen...) Tschüs.
Ich: (Versuche mir auszurechnen, wieviel mich dieser völlig sinnlose Spaß gekostet hat. Scheitere wie vorher und reagiere ähnlich. Wenn es stimmt, dass Pflanzen empfindungsfähig sind, haben meine 'ne echt harte Zeit vor sich.)

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Es stimmt. Und ja - Deine armen Pflanzen!

Anonym hat gesagt…

Ich sag nur:
- Amt
- Callcenter
- Abhängigkeitsverhältnis deinerseits
Also was hast du eigentlich erwartet?

Gruß vom ehemals Dauerarbeitslosen