Sonntag, März 01, 2009

Neues Hobby

Ich habe ein neues Hobby. Oder anders: Ich betreibe eine neue, von mir erfundene Sportart, ein Spiel, als Hobby. Dieses Spiel ist eine Denksportart und erfordert nur ein Minimum an körperlicher Aktivität, ist aber dennoch hoch anspruchsvoll und nichts für schwache Gemüter.

Ich nenne sie "Indifferenz im Angesicht von Unterhaltungselektronik".

Die Regeln sind wenig komplex, bergen aber auch Kniffe, die gelernt sein wollen. Ich fasse sie hier mal kurz zusammen:

1. Man fährt irgendwo hin. Das Primärziel ist irrelevant. Wichtiger ist, dass man auf dem Heimweg von wo auch immer, "zufällig" an einem Mediamarkt vorbeifährt. Zugegebenermaßen eignet sich hierfür Mannheim hervorragend, ist es doch von Mediamärkten ähnlich eingekreist, wie das berühmte kleine gallische Dorf von Lagern der römischen Legion.

2. Auf dem Heimweg muss man den Gedanken zum Mediamarkt zu fahren strikt vermeiden. Zu frühes Dran-Denken gilt als grobes Faul und gibt einen Gummipunkt. Es ist unheimlich wichtig, erst bei der letzten Möglichkeit den Mediamarkt zu erreichen, sich dazu zu entschließen, "mal eben schnell" reinzuschauen. Der Entschluss MUSS spontan sein.

3. Es gibt Extrapunkte, wenn man das an einem Samstagvormittag schafft, wenn der Rest der Welt sich im lokalen Mediamarkt zum "Rabbat" (auch "Rabbes" genannt), trifft.

4. Dann begibt man sich in den Bereich der Unterhaltungselektronik. Fernseher zählen 10, Stereoanlagen, MP3-Player und Autoradios zählen 20, Computer und Laptops zählen 30 Punkte. Netbooks bringen 100 Punkte. Indifferenz im Angesicht von Netbooks ist im Übrigen die Königsdisziplin in diesem Spiel. Auf keinem anderen Gebiet sinnloser elektronischer Spielzeuge wird die gesamte Perfidie marketingtechnischer Tricks und Finten offenbarer als hier. Kann man Fernseher noch anhand verschiedener "Features" voneinander unterscheiden (Farbe, Breite, Höhe, Brillianz, Lumineszenz, Demenz u.v.a.m.), entziehen sich die Netbooks all diesen Kategorien.

Was ich damit eigentlich sagen will ist Folgendes: Der Netbook-Markt ist explodiert. Und diese Explosion hat nicht nur unschuldige Marktbesucher mit in ein frühes, nasses Grab gerissen, nein auch die Hersteller scheinen von umherschwirrendem Schrapnell getroffen worden zu sein, woraus ihre Unfähigkeit resultiert, Produkte zu schaffen, die sich in mehr als Farbe und Namen von denen der Konkurrenz unterscheiden.

Und genau hierauf basiert der weitere Spielverlauf: Man steht also vor den unzähligen aber völlig identischen Geräten und versucht sich zu entscheiden, welches man den nun eigentlich will. Natürlich hat man vorher all die einschlägigen Tests gelesen. Man hat bei Amazon die Käuferrezensionen gelesen, hat Computerwoche und die C't gewälzt. Und dennoch steht man in völliger Unfähigkeit, eine Entscheidung zu treffen so ca. 30 Minuten vor den Geräten rum, tippt hie mal lustlos rum oder probiert da mal unmotiviert das Mousepad aus. Kurz, man verfällt in einen geistigen Zustand, der dem einer Schildkröte im Winterschlaf nicht unnähnlich ist. Nimmt man den Asus eee-pc, immerhin Marktführer und Produktpionier mit einem 1.6 GHz Prozessor, 160 GByte Festplatte und 10 Zoll Monitor? Oder nimmt man doch besser den Samsung NC 10 mit 1.6 GHz Prozessor, 160 GByte Festplatte und 10 Zoll Monitor? Oder was ist mit dem neuen Modell von Acer? Das verfügt immerhin über einen 1.6 GHz Prozessor, 160 GByte Festplatte und 10 Zoll Monitor! Oder ist man gar preisbewusst und entscheidet sich für den Dell mit 1.6 GHz Prozessor, 160 GByte Festplatte und 10 Zoll Monitor?

Spätestens an dieser Stelle bekommt man normalerweise den glasigen Blick eines Kunden, der zu stolz ist, einen Verkäufer direkt um Hilfe anzugehen und stattdessen durch reines in die Gegend starren versucht, die Aufmerksamkeit eines solchen auf sich zu lenken. Dies hinwiederrum ist eine weitere Tücke des Spiels, die höchste Konzentration und körperliche Fitness erfordert.

5. Man versucht also, einen Mediamarktverkäufer davon zu überzeugen, dass man würdig sei, von ihm beraten zu werden. Schafft man dies non-verbal unter 10 Minuten, indem man z.B. hilflos auf dem Gerät herumtippt und dabei Geldscheine aus der Hosentasche gut sichtbar hängen lässt, bekommt man 100 Punkte. Ist der sodann geköderte Verkäufer auch noch aus der richtigen Abteilung (und nicht, sagen wir mal, aus der Abteilung Espresso-Maschinen und elektrische Dentalcenter), bekommt man nochmal 50 Punkte. Ist der Verkäufer dann auch noch kompetent und freundlich, bekommt man zunächst Ärger mit der Polizei und anschließend eine Entziehungskur, weil DAS nur das Produkt einer Halluzination aufgrund übermäßigen Cannabiskonsums sein kann.

An dieser Stelle des Spiels hat man das Spielziel erreicht.

Man hat Zeit und Geduld investiert und verloren. Man ist einer Entscheidung auch nicht einen Millimeter näher gekommen. Man hat seine Vorurteile über Mediamarktverkäufer bestätigt (Mediamarktverkäufer kann man nur mit dem gleichen Qualifikationsprofil wie ein DSDS-Jurymitglied werden).

6. Als Abschluss-Bonus können jetzt noch 50 Punkte erworben werden, wenn man es schafft, den Mediamarkt zu verlassen, ohne sich mal eben 20 DVDs a 7,99 Euro zu kaufen, die man sich dann nie anschauen wird. Die Bonuspunkte habe ich noch nie bekommen.

Ich spiele das gern.

Und ich habe noch immer kein Netbook.

Aber ich glaube, ich kaufe mir den Asus eee-pc.

Oder doch den Samsung?

Wobei der bestimmt Acer auch nicht schlecht...

Naja, morgen fahre ich nach Darmstadt. 'S könnt' sein, dass ich auf dem Heimweg an einem Mediamarkt vorbeikomme. Also... vielleicht...

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Wunderbare Beschreibung mit einer netten und durchaus alltagstauglichen Spielidee! Leider kann man die "Einkäufe" bei Media Markt nur noch selten mit so viel Galgenhumor betrachten, dazu macht es einen einfach zu traurig, zu was für Servicewüsten sich diese Discounter entwickelt haben. Kein Wunder, dass immer mehr Leute einfach direkt im Internet bestellen und höchstens mal in den Markt gehen um sich das Produkt "live" anzuschauen.