Freitag, April 19, 2013

Eine kleine Zoologie der Tierchen, die in meiner Bauchfalte leben und ihr Mondkalender

Oder: Wie ich mir das Rauchen abgewöhnte und mit den Folgen zurechtkommen musste

Die berufliche Verbannung an den äußeren zivilisatorischen Ring unseres Kontinents hat nicht nur Vor- oder Nachteile. Nein, die mir durch die spezielle schwedische Neigung zur freizeitlichen Zurückhaltung auferlegte Passivität nach Büroschluss hat auch ihr Gutes. So kam mir im Rahmen einer nachsamstäglichen Metabolismusneuorientierung der Gedanke, "Jörch," dacht ich mir, "Jörch, lass das mal mit dem Rauchen sein, weil das sieht nich aus!".

Und so ließ ich das mit dem Rauchen sein.

Seit nun 6 Tagen bin ich fertig mit der Sucht nach Nikotin, doch langsam reift in mir die Erkenntnis, dass ich sie nicht eigentlich "los" bin, sondern sie vielmehr eingetauscht habe. Und zwar gegen eine der ganz großen, die Finalistin im Casting der besten Süchte, eine der Todsünden: Völlerei.

Weniger poetisch: Ich fresse. Den ganzen Tag. Alles was da ist. Kekse, Brot, Fleisch, Sushi, Thai-Buffet für 85 Kronen, Äpfel, Birnen, Bananen, Schokolade und diese lustigen Bobbelchen, die sie hier Kötbuller nennen. Ich fresse. Und wenn ich mich nicht wie eine hysterische Wasseramsel auf Christal Meth den ganzen Tag bewege, bin ich Ende Mai fett. Ein...

... Traum verfolgt mich.

Ich gehe durch die Fußgängerzone. Ich gehe nicht eigentlich, nein, ich wanke mit diesem den Dicken eigentümlichen Schritt voran, mehr ein kontrolliertes Hinfallen, immer kurz vor dem Punkt, ab dem sich die unkontrollierte Masse gen Erdkern bewegt. Aber immer nur kurz davor. Ich bin wirklich dick und meine spät-Marlon-Brando-artige Fülle verdunkelt die Sonne. Ich laufe zu meinem Lieblingsimbiss. Dort gibts "ganser Döner", das heißt, der gesamte Rollspieß wird von Ügür in ein großes Fladenbrot gepackt und als "Kebab Komatose" mit alles und biske sarf für nur 29,99 verkauft. In meinem 3. Monat als Nichtraucher esse ich nun täglich 2 mal dort. Abends gönne ich mir gerne dann ein etwas umfangreicheres Mahl.

Auf dem Rückweg in meine Wohnung läuft eine Frau mit ihrem Dekomops an mir vorbei. Der kleine Kerl ist mir in Körperform und Kurzatmigkeit sehr ähnlich. Doch in schierer Masse übertreffe ich ihn um ein Vielfaches. Und bevor ich es mich versehe greift das Gesetz der Masseanziehung ein, er verfängt sich in meinem Schwerefeld, wird langsam in die Luft gehoben, die Leine spannt sich, reisst schließlich und in einer flacher werdenden und irgendwie friedlichen eliptischen Kreisbahn tritt der Mops in den Orbit um meinen Äquator ein. Die Besitzerin des degenerierten Kaninen bekommt davon nichts mit, da sie sich gerade beim Laufen auf ihrem iPhone5 die letzte Folge von "Paris Hilton pinkelt ein Loch in den Schnee - Die komplette Dokumentation in 12 Teilen" anschaut.

Der Mops ist nun ein Teil meiner Welt, genauso, wie der Mond ein Teil der unseren ist. Er erscheint friedlich, fast ein wenig erleichtert. Hechelnd und Lächelnd umkreist er mich stoisch, verfolgt nur von einer kleinen Fettwelle, die wiederum seiner Schwerkraft folgend um meine Hüften wandert.

Es wird hell in dem Tal, welches eine meiner vielen, mittlerweile mächtigen Bauchfalten wirft. Die kleine doch gottesfürchtig lebende Familie hautschuppenfressender Exoparasiten erwacht. Papaparasit steht mit seinem Ältesten auf der Veranda der erst unlängst von ihnen mit befreundeten und benachbarten Parasiten erbauten Vollhaarhütte. Ein Ereignis, welches die weit über die unübersichtlichen hügeligen Einöden meiner Wampe verstreuten Parasitenfamilien immer wieder zusammenführt und sie zu einer fast sektenartigen Gemeinschaft zusammenschweißt. Vater Parasit nickt wissend in Richtung des morgendlichen Himmels an dessen Horizont gerade der Mops im -aus ihrer Perspektive- Untergehen begriffen ist. "Siehst Du, Paul, morgen haben wir Vollmops. Eine gute Zeit, die Schuppen in den Schuppen zu bringen!". Paul nickt und fragt sich, wohin der Mops geht, wenn er hinterm Horizont verschwindet, ob es andere Parasiten auf dem Mops gibt oder ob die Parasiten irgendwann mal zum Mops fliegen können. Nach der Schule wird er sich "Was ist Was - Der Mops" in der Faltenbücherei ausleihen und alles nachlesen. Paul ist ein intelligenter kleiner Parasit.

Meine übliche 4-Uhr-Morgens-Fressattacke weckt mich und lässt mich mit dem Ausruf "Knoblauchsoße extra bitte Ügür!" hochschrecken.

Kein Mops kreist um mich, aber von irgendwoher aus der meiner näheren Umgebung, ohne es genau orten zu können, höre ich Geräusche. Geräusche die mich entfernt an Landwirtschaft erinnern. Ich muss aus irgendwelchen Gründen an "Erntezeit" denken. Mein Bauch juckt. Ich  kratze mich an der Wampe und muss mir irgenwas aufgeschubbert haben, ich habe Blut am Finger. Weint hier irgendjemand?

Paul kam heute nicht zur Bücherei...


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